Die Beichte

von Ernst Cremers (1922-1998)

Ernst Cremers

Volkskundliches aus der Schmunzel-Ecke mit authentischem Hintergrund

Die Beichte, das Sakrament der Buße

Reminiszenzen aus der Jugendzeit

in Mundart, »Knubbel-« und Hochdeutsch


»Soo lang is dat noch jaar nicht hear...«,
  • als man noch bei Wind und Wetter mit den Klompen, Botschen, Holzschuhen zur Schule ging, zu Fuß selbstverständlich,

  • als man noch um 5 Minuten vor 8 Uhr in der Klasse sein mußte zum gemeinsamen Morgengebet, das man auch zuhause schon absolviert hatte,

  • als man noch dienstags und freitags um 7.10 Uhr die Schulmesse, sonntagsnachmittags um 14.30 Uhr die Andacht oder Christenlehre  in der Pfarrkirche besuchen mußte,

  • als man noch in der Schule in den Unterrichtspausen auf dem Schulhof geschlechtergetrennt spielen mußte, wo aufsichtshabende Lehrpersonen strengen Blickes darauf achteten,

  • als man noch Linkshänder auf rechts »umpolte«, indem man die linke Hand mit einem großen bunten Taschentuch des Vaters umwickelte, selbstverständlich mit Einwilligung der Eltern, worüber ich heute noch für diese bei mir getroffene Maßnahme, beidhändig einsatzfähig zu sein, sehr dankbar bin und

  • als man noch alle 4 Wochen, samstags, unsere Sünden beichten mußten um am darauffolgenden Sonntag zum Tisch des Herrn gehen zu dürfen, um dort den Leib Christi zu empfangen.


Die Beichte, die für uns Kinder stets im gleichen Ritus (mit meistens auch den gleichen Sünden) ablief, wird wohl in allen dörflichen Regionen des Niederrheins, mit überwiegend katholischer Bevölkerung, ähnlich wiederzufinden gewesen sein.
Die hier wiedergegebene Beichte, mit authentischem Hintergrund, spielte sich vor rd. 65 Jahren in der Breyeller Pfarrkirche, St. Lambertus, ab.

Ort der Handlung: Kath. Volksschule Breyell; Pfarrkirche: St. Lambertus

Lehrerkollegium: Rektor Brockmeyer, Lehrer Anton Gahlings (gen. »de Märling« = Singvogel), Lehrer Lambert Schmitz (gen. »Schmetz Tott«, aufgrund seines runden Glatzkopfes, einer Kartoffel ähnelnd), Lehrer Werres und Lehrer Meisen.

Pfarrgeistlichkeit: Pfarrer Königs, Kaplan Tennagels (für uns Kinder der Erfinder des Stereohörens; seine Hände glichen Pranken, seine Finger waren Krakauer Würste gleich, - was bedeutete, daß seine Hand beim Vergeben einer Ohrfeige den ganzen Kopf des Betroffenen umfaßte, was wiederum bedeutete, daß er beide Ohren traf (Stereo...).

Anmerkungen:  

1. Schreibweise: Diese erfolgte in Anlehnung an die Niederrheinische Umgangssprache, das heißt: den Buchstaben »g« zu sprechen, kommt für jeden urwüchsigen und heimatverbundenen Niederrheiner einer »Vergewaltigung« des Gaumens gleich, da er sich lieber des bequemeren »J« bedient.

2. Namen, Namenssonderheiten: Es sind in dörflichen Regionen sehr häufig zwei verschiedene  Familiennamen für ein und dieselbe Person anzutreffen. Im Falle meines Schulkameraden, »Pääsch Härem«, ein von Generatiom zu Generation übertragener Name, obwohl der standesamtlich eingetragene Name, Beskes Hermann, ist.

Die Beichte

»Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Meine letzte Beichte war vor vier Wochen. In Demut und Reue bekenne ich meine Sünden: ich hab ein paarmal nicht andächtig gebetet, und ich war ein paarmal ungehorsam.«
»Gegen wen«, fragte Kaplam Tennagels zwischendurch.

»Jejen meine Mama«, sagte ich, »und - ich hab zweimal jenascht.«

»Was hast du genascht?«

»Im Kellerhäusken lag eine frische weiße Mek (Weißbrot), und da hab ich mit de Finger ane Seite reinjebohrt und davon jejessen.«

»Und da hat deine Mutter bestimmt gedacht, da seien die Mäuse dran gewesen?«

»Ja, Herr Kaplan, und dann hab ich noch 5 Pfennig aus der Träk (Schublade) von de Küchentisch jestibitzt.«

»Was hast Du denn damit gemacht?«

(Mein Jott, dä wulet och alles jenau weete...). »Ich hab beim Kölschen (Knickern) verloren und hatte keine mehr, und da hab ich mir bei Hormes Hännes (Nachbarjunge) die 50 verlorenen Kölschen wieder zurückjekauft.«

»Das ist aber fast eine Totsünde«, meinte Kaplan Tennagels mit einem Gesicht, dat mir wat Angst einjagte (und ich meine, seinen Atem, der schrecklich nach Knoblauch stank, immer noch zu riechen, wenn ich dran denke, wie Er durch das hölzerne Gitterfenster mich ansah...)

»Hast Du sonst noch was auf deiner schwarzen Seele?« bohrte er weiter.

»Ja, ich hab in der Schule, auf dem Spielplatz, mit anderen Jungen Unkeusches jeredet, und - ich hab ein paarmal Unkeusches mir anjekuckt, und - ich habe zweimal Unkeusches mit anderen getan. Das sind meine Sünden, ich bereue sie von ganzem Herzen«, schlug meine Augen nach unten und wartete darauf, was nun kommen würde...

»So, so, - du scheinst mir ja ein ganz Schlimmer zu sein. - Was hast Du dir denn an unkeuschen Sachen angeschaut?« wollte Kaplan Tennagels wissen.

»Ich hab bei unserem Fräulein Kleindopp unter de Rock jekuckt weil ich wissen wollte, wat die für einen Schlüpfer anhatte.»

»Und, welchen Schlüpfer trug Fräulein Kleindopp?« fragte er, und - wie ich mein, ein bißken vorwitzig.

»Mal eine rosane und mal eine hellblaue mit unten an den Bördchen zwei weiße Streifen. Dat waren Bleyle-Schlüpfer, jlaub ich.«

»Wie kommst Du denn darauf, daß das Bleyle-Schlüpfer sind, deine Mutter trägt doch sicher auch solche?«

»Nee«, sagte ich, »meine Mama trägt immer Bomesiine-Schlüpfer (Baumwoll-Schl.), die jlänzen außen und von binnen sind die jerauht, ich hab Papa jefragt und - der sagt immer: dat sind Bomesiinenbomer oder Liebestöter.«

»Was ist das denn nun schon wieder: Bomesiinenbomber oder Liebestöter?«

»Dat weiß ich auch nicht, Herr Kaplan. Mein Papa sagt dat immer.«

»Nun gut«, meinte unser Kaplan ein bißken versöhnlicher und fragte weiter: »Wieso konntest du denn unter Fräulein Kleindops Rock schauen, um zu sehen, welchen Schlüpfer sie trug?«

»Ja. dat is so, Herr Kaplan: ich sitz in der ersten Reihe, neben Pääsch Härem, und der sitzt auf der Ecke, und da klettert Fraeulein Kleindopp immer auf die Bank wenn wir ein Diktat schreiben um zu kucken ob einer vom anderen abschreibt, und - dann lauer ich schon mal ein bißken, wat die für ne Schlüpfer anhat und dann sag ich dat dann an die anderen Jungens leise weiter.«

»Merkt das Fräulein Kleindopp denn nicht, wenn in der Klasse getuschelt wird?« wollte Kaplan wissen.

»Doch«, sagte ich.

»Und was geschieht dann?« fragte Kaplan Tennagels weiter.

(Mein Jott, dä vroaret mich joa Löaker enen Buuk...) »Ja, dann kriegten wir alle wat auf die Finger jekloppt, mit sonem Rietstöcksken, und - wenn et nicht mehr jing, dann holt sie Lehrer Werres aus der Nachbarklasse, der hat eine Pläät (Glatze) und ist aus Westfalen; der sorgte dann für Ordnung«

»Ja, ich glaube, ich muß doch mal mit Fräulein Kleindopp sprechen ob es erforderlich ist, daß sie beim Diktat immer auf die Bänke klettern muß.«

(Hätt ich doch bloos niks von Fräulein Kleindopp's Schlüpfer jebeichtet; sie wurde tatsächlich nach einigen Wochen nach Dülken (Nachbarstadt) versetzt. Schade...

»Und nun mein Sohn, bleibt noch das Unkeusche, das Du mit anderen getan hast. Waren das Jungen oder Mädchen?«

»Dat waren Jungens, Herr Kaplan.«

»Dann berichte, wie es war. Was habt ihr Jungens denn Unkeusches miteinander getan?«

Ich druckste ein bißchen herum, fing dann aber an zu beichten.: »Auf dem Schulhof jibt et ja ein Pisewaar«, fing ich an, »und dat ist bis auf 1.80 Meter mit Teer anjestrichen, und da haben wir mit vier Jungens um die Wette jepinkelt wer am höchsten kommt, und - da hab ich jewonnen.«

»Unglaublich«, meinte Herr Kaplan, »wie man auf solche Ideen kommen kann.« Nun muß ich mir doch mal überlegen, ob ich dir die Absolution erteilen kann.«

Nach einer kurzen Zeit hob Er seinen Kopf, kuckte mich an und sagte: »Bete als Buße: drei "Vater unser" und drei "Gegrüßet sei'st Du, Maria", und wegen der gestohlenen Murmeln den "Engel der Herrn" extra.

Nun setzte Er sich gerade hin, hielt seinen Kopf nach unten jebeugt, bröemelte etwas in Latein, und - ich meinte es nun noch zu hören, wie: »Misera'tur tui omnipotens Deus, et dimissis peccatis tuis, perdu'cat te ad vitam aete'rnam: Amen (Der allmächtige Gott erbarme sich deiner: Er lasse dir die Sünden nach und führe dich zum ewigen Leben. Amen.)

Dann hob Kaplan Tennagels seine rechte Hand, schaute mich an und betete: »Indulge'nitiam, absolutio'nem...(Nachlaß, Vergebung und Verzeihung deiner Sünden schenke dir der allmächtige und barmherige Herr. Amen).«

»Gelobt sei Jesus Christus«, sagte Herr Kapklan Tennagels zum Schluß.

»In Ewigkeit. Amen.« Dat waren meine letzten Worte im Beichstuhl, stand auf und jing nebenan in eine Bank um die drei Teile zu beten, die Kaplan mir aufgegeben hatte.

(Hmm -, dat hatte ja noch noch mal juut jejangen...). Wenn Kaplan jewußt hätte, dat ich vier Wochen später an der Mauer vom Sportplatz "Union Breyell" über 2,37 Meter jekommen bin jejen  Meskes "Deke" (Heinz) und Hormes Hännes, - ich jlaub, ich wär vom Beten jar nicht mehr abjekommen...)

 

Gedanken über das Glück