Eisernes Buch
der Gemeinde Lobberich (1929)

- Fürsorge für die Kriegsblinden -

eisernes Kreuz

Das Auftreten der ersten Kriegserblindungen stellte Aerzteund Behörden vor eine neue Aufgabe. Man war zu unbekannt mit den Erfordernissen und den Leistungsmöglichkeiten eines Kriegsblinden, um ihn aufzurichten und ihm behülflich zu sein in der Wahl eines neuen Berufes. Die Blindenanstalten waren nicht vorbereitet genug, um sich den abweichenden Verhältnissen der Kriegsblinden erfolgreich anzupassen. Trotz besten Willens auf beiden Seiten verließen sie nicht selten entmutigt, verbittert und halb ausgebildet die Anstalt, um der allgemeinen Verflachung und der Vereinsamung anheim zu fallen. Die Not der Kriegsblinden in seelischer und wirtschaftlicher Beziehung vertiefte sich naturgemäß durch die lange Kriegsdauer, die Zermürbung und Vernichtung vieler Hilfskräfte und besonders in der Nachkriegszeit durch die fortschreitende Entwertung ihrer Versorgungsgebührnisse. Da galt es, für die schwer getroffenen Vaterlandsverteidiger neue Wege zu suchen. Es galt, die Haupterfordernisse der Kriegsblindenfrage klarzustellen und möglichst zu erfüllen. Dabei ergaben sich drei Hauptforderungen:

  1. Ausreichende Versorgung,
  2. nachgehende Arbeits- und Gesundheitsfürsorge und
  3. fördernde seelische Beeinflussung.

Die erste Aufgabe, eine genügende geldliche Versorgung, konnte natürlich in der allgemeinen Notzeit auch nicht annähernd gelöst werden. Die verschiedensten Versuche seitens der Regierung und der Behörden wurden von der Inflation verschlungen wie Wassertropfen vom glühenden Stein. Erst als es gelang, die Kriegsblindenbezüge der Beamtenbesoldung anzugleichen, konnte man der schlimmsten Not Herr werden. Dankbar muß anerkannt werden, daß auch gerade in den letzten Jahren manche Vergünstigungen von einem fortschreitenden Verständnis für die Sonderbedürfnisse der Kriegsblinden zeugen.

Ebenso wichtig für das Wohlergehen der Kriegsblinden als die Rente war eine geordnete und angemessene Fürsorge. Ursprünglich wurde sie nach einheitlichen Grundsätzen vom Reich selbst ausgeführt. Durch die Reichsfürsorgeverordnung vom 13. Februar 1924 wurde diese Fürsorgepflicht den Ländern und Gemeinden übertragen. Da war es bei der starken Belastung und der verschiedenen Einstellung dieser Behörden nur zu natürlich, daß Klagen über uneinheitliche, oft unzulängliche Fürsorge laut wurden. Das Gebiet der Arbeitsfürsorge, das dem Kriegsblinden eine befriedigende Tätigkeit verschaffen sollte, war ebenso schwierig als bedeutungsvoll. Berufstätige Kriegsblinde sind im Durchschnitt viel heiterer, sind leichter zu behandeln und zu befriedigen als die, die arbeitslos, grübelnd und verbittert ein nutzloses Dasein ertragen müssen. Wo daher in einer Gemeinde eine berufliche Unterbringung wegen persönlicher oderörtlicher Verhältnisse nicht möglich war, bemühten sich die Kreisfürsorgestellen erfolgreich, die Kriegsblinden in den alten Blindenhandwerken ausbilden zu lassen und durch Beschaffung von Material und Aufträgen zu unterstützen. Die Beamten der Fürsorgestellen waren so rührig, daß selbst in der Zeit der schlimmsten Arbeitslosigkeit kaum ein arbeitswilliger und fähiger Kriegsblinder dauernd beschäftigungslos war.

Es sei dann ferner auf die wichtige fürsorgerische Maßnahme hingewiesen, die die Eigenheimbeschaffung für die Kriegsblinden, Beratung und Hilfsbereitschaft auch für die Familie in besonderen Not- und Krankheitsfällen, Hilfe in Erziehungs- und Ausbildungsfragen der Kinder zu Lebzeiten und nach dem Tode des Kriegsblinden sich zum Ziele setzte.

Die seelische Beeinflussung erblindeter Krieger suchten Gemeinde und Staat zu fördern durch Veranstaltung von mancherlei Vergnügen und ganz besonders durch Schaffung eines Bundes deutscher Kriegsblinden, in dem sich an 3000 deutsche Kriegsblinde kameradschaftlich vereinigten, die sich dann wieder in Ortsgruppen verteilten. In diesem Bunde leistete und leistet noch andauernd die selbstlose und wirkungsvolle Mithilfe geeigneter kriegsblinder Kameraden der Fürsorgearbeit der Behörden durch Betreuung ihrer Leidensgenossen eine überaus wichtige Unterstützung. In wie manchen Fällen wollte es nur ihnen gelingen, verzagte, arbeitsunlustige oder verbitterte Leidensgefährten günstig zu beeinflussen, verständnislose Außenstehende zu überzeugen, Zweifelsfragen zu lösen, kurz, das materielle und ideelle Wohl ihrer Kameraden zu fördern.

Auch die Schaffung von Erholungsheimen ist ein wichtiger Faktor der seelischen Beeinflussung der Kriegsblinden. Zurzeit stehen den deutschen Kriegsblinden drei Bundesheime offen: Swinemünde (Ostsee), Braunlage (Harz) und Salzhausen (Oberhessen). Dazu kommt noch dasnicht nur den bayrischen, sondern allen deutschen Kriegsblinden zugängliche Kriegsblindenerholungsheim Bayerns: Söckingen am Starnberger See. In diesen vier Heimen findet der Kriegsblinde gegen einen geringen Verpflegungssatz, der Rest wird anderweitig aufgebracht, reichliche, kräftige Kost, wohltuende Ruhe und Pflege, Abwechselung und erheiternde, fördernde Geselligkeit. Eine solche regelmäßige und gesicherte Erholungsmöglichkeit bringt Abwechselung, Erheiterung und Aufklärung in das graue Dasein unserer Kriegsblinden und beeinflußt ihre seelische Verfassung auf das Günstigste.

Die Gemeinde Lobberich beteiligte sich nach bestem Können an der Unterstützung erblindeter Krieger. Sie hat selbst nur einen erblindeten Krieger, den Anstreichermeister Josef Körfers. Ihm hat die Gemeinde ein gutes Durchkommen verschafft, ihm eine gute Ausbildung seiner Kinder ermöglicht und für deren Unterbringung gesorgt.

Der Aufruf in "Rhein und Maas" im Juni 1915 zur Sammlung von Spenden für erblindete Krieger hatte einen schönen Erfolg.

Es stifteten:

Sammelstelle Rhein und Maas 755,-- Mark
Herr Geheimrat van der Upwich 300,--

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Herr Anton van der Upwich 200,--

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Herr Carl van der Upwich 100,--

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Angestellte der Firma de Ball & Co. Nachfolger 143,--

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Arbeiterinnen, Tagelöhner und Handwerker derselben Firma 148,--

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nochmals Sammelstelle Rhein und Maas 1035,--

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zusammen 2681,--

Mark

Der Betrag wurde an das Bankhaus Bleichröder Berlin eingesandt.

Nachdem die Radioerfindung sich Geltung verschafft hatte, erhielten die Kriegsblinden, u.a. auch der hier ansässige Kriegsblinde J. Körfers, durch Vermittelung der Reichsversorgungsstelle kostenlos einen Radioapparat.


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