1000 Jahre Lobberich

Geschichte und ihre Geschichten -
ein Leseheft für Schulen und Familien

Zu den Merkwürdigkeiten dieser Zeit gehört, daß die beiden in Lobberich wirkenden Amtsgerichtsräte, Julius Baumann und Walter Vreen, in einer Zeit, wo fast alle Berufskollegen der Partei angehörten, außerhalb standen.


Er war ein Beispiel: Amtsgerichtsrat Julius Baumann

Julius Baumann wurde am 4.9.1875 in Huisberden bei Kleve geboren. Von 1908 - 48 war er Amtsrichter in Lobberich.

Die Zeit der Naziherrschaft fiel also in die Dienstzeit dieses Mannes, der den Machthabern unzuverlässig erscheinen mußte, denn Baumann war in den 20er Jahren führendes Mitglied der örtlichen Zentrumspartei, war und blieb auch während der Diktatur Mitglied des Kirchenvorstandes. Doch man drohte weder ihm noch seinem Kollegen die Entlassung aus dem Dienst an, obschon dazu aufgrund des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" von 1933 die Möglichkeit bestanden hätte. (23)

Hielt man es für unvernünftig, zwei ortsbekannte und geschätzte Persönlichkeiten aus ihren Ämtern zu entfernen, da so das Ansehen der Partei Schaden genommen hätte? Hielt man sie für tragbar, weil sie im Bereich des Amtsgerichtes keine politische Justiz ausübten - Baumann galt als Spezialist für Erbhofrecht -, oder verzichtete man einfach auf Mitglieder, die Antinazis waren?

Wir wissen es nicht, doch sollte festgestellt werden, daß es selbst in der örtlichen Parteiführung Leute gab, die nicht in allem den Führerwillen in "reiner " Form umsetzten. Da gab es ein Netz von Beziehungen, das man nicht einfach mit dem 30. Januar 1933 zerriß. So spielte es manchmal doch eine Rolle, ob man vorher gemeinsam die Schulbank gedrückt hatte und sich seither sympathisch fand oder ob man irgendwann gemeinsam gekegelt oder im Gesangverein gesungen hatte, usw.

Julius Baumann
Amtsgerichtsrat Julius Baumann

Baumann blieb auch im Amt, als er eine von Spitzeln abgehörte Predigt eines Kaplans, in der dieser bestimmte Maßnahmen der Machthaber kritisiert hatte, als nicht gerichtsfähige Sache niederschlug. Er blieb auch, als zwei seiner Söhne dabei erwischt wurderr ·einen Brief illegal weiterzuverbreiten, der dem Jagdflieger Mölders zugeschrieben wurde. Darin wurde mit dem unmenschlichen System abgerechnet (24). Es heißt, in diesem Falie habe Bürgermeister Marx das Schlimmste verhütet. Immerhin fand sich in den Papieren des Julius Baumann jr. die Eintragung politischer Unzuverlässigkeit.

Ernennungsurkunde Baumann

Mehrere glaubwürdige Zeugen versichern, es habe bei der örtlichen Partei so etwas wie eine schwarze Liste gegeben. Auf ihr habe sich u.a. auch der Name des Julius Baumann befunden. (25) Sie sei für den Tag der Abrechnung bereitgehalten worden; denn das war weitverbreitete Meinung, Hitler werde nach gewonnenem Krieg vor allem zum offenen Kampf gegen die Kirchen antreten. Im übrigen forderte die Geheime Staatspolizei regelmäßig Berichte über örtliche Vorgänge an (Lageberichte). Es überrascht nicht, daß Richter Baumann nach dem Einmarsch der Allierten noch 1945 aufsichtsführender Richter in Kempen wurde, da er als Nicht-Parteimitglied dazu geeignet schien.

Nach 50jähriger Dienstzeit trat er in den Ruhestand, rühmliches Beispiel eines charakterfesten Mannes. So lesen wir auf seinem Totenzettel unter dem Datum vom 14.9.1955 : "Der Verstorbene hinterläßt ein ehrenvolles Andenken. Ein tiefgläubiger Christ, ein guter Mensch ...
Über 50 Jahre lang bemühte er sich als Richter urn das Recht und Wohlergehen seiner Mitmenschen. "

Ernennungsurkunde des Julius Baumann zum Amtsrichter von Lobberich durch Kaiser Wilhelm ll.

"Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen thun kund und zu wissen, daß Wir den Gerichtsassessor Julius Baumann in Geldern zum Amtsrichter Allergnädigst ernannt haben. (...)

Urkundlich haben wir diese Bestellung Allerhöchst Selbst vollzogen und mit Unserem Königlichen lnsiegel versehen lassen.

Gegeben, Neues Palais, den 12. September 1908.

In einem Begleitschreiben wurde das jährliche Gehalt auf 3.000 Mark mit Wohnungsgeldzuschuß festgelegt.


23) Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7.4.33, § 4.

24) Noch heute ist nicht sicher, ob Mölders den ader die Briefe wirklich geschrieben hat. Er war in der katholischen Jugend aktiv gewesen, bevor er zur Luftwaffe stieß.

25) Auf dieser Liste seien auch frühere Sozialdemokraten und Kommunisten verzeichnet gewesen. Auch wenn eine Liste dieser Art nicht bestanden haben sollte, so ist der verbreitete Glaube, es habe sie gegeben, eine bemerkenswerte Tatsache. Sie zeigt nämlich, wozu man die Nazis für fähig hielt.

26) In der Amtszeit des Herrn Baumann war von 1910-1911 der während des Dritten Reiches sehr bekannte Staatsrechtler Prof . Dr. Carl Schmitt für neun Monate Referendar in Lobberich. Baumann stellte zu seinem 25jährigen Ortsjubiläum 1933 fest: "Durchweg bewirbt sich ein Richter in jüngeren Jahren ... um eine Stelle in einem größeren Ort. Von dieser Gelegen heit habe ich keinen Gebrauch gemacht."


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Geschichte(n) - auch aus anderen Quellen.