Schützengesellschaft Bocholt-Sittard 175 Jahre
Lobberich um 1835
von Greta van der Beek-Optendrenk
Die Zeit um 1835, in die die Gründung der St. Josef-Bruderschaft Bocholt-Sittard fällt, ist in unserer Vorstellung nicht sehr präsent.
Keiner kann uns mehr Mündliches überliefern, es gab noch keine Fotos und die schriftlichen Zeitdokumente über unsere Region sind nicht sehr zahlreich Aber wir wollen doch gerne so vieles wissen:
- Wozu gehörte Lobberich politisch und wer regierte und verwaltete hier?
- Wie mögen das Dorf Lobberich und besonders die Honschaften Bocholt und Sittard seinerzeit ausgesehen haben, wie groß war der Ort und wie viele Bürgerinnen und Bürger haben hier gelebt?
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Wie sahen Landwirtschaft. Wirtschaft. Handwerk. Handel und Gewerbe aus und womit waren die Menschen beschäftigt?
Politik, Regierung und Verwaltung
1835 befinden wir uns in der Zeit, die man literarisch im Nachhinein als Romantik bezeichnen wird. Das Rheinland und damit Lobberich waren nach dem Ende der Franzosenzeit, die vom Herbst 1794 bis zum Niedergang der Macht Napoleons 1814 gedauert hatte, an Preußen gefallen. 1816 erfolgte die endgültige Grenzziehung zwischen dem Königreich Preußen auf unserer Seite und dem neu gegründeten Königreich der Niederlande auf der anderen Seite - einen Kanonenschuss von der Maas entfernt. Die Auswirkungen dieser neuen Staatszugehörigkeit waren für das Alltagsleben der Menschen recht einschneidend. Die bis hierhin dominierende Schriftsprache, das Niederländische, wurde von der Amtssprache Deutsch abgelöst. Mit der deutschen Hochsprache waren die Lobbericher dank der Herkunft ihrer Ortspfarrer aus dem Kloster Knechtsteden bei Dormagen gut vertraut. Ihre Alltagssprache aber blieb der Dialekt, in dem man sich auch noch mündlich über die Grenze hinweg verständigen konnte. Lobberich wurde nun nicht mehr von einen Prefect des Departement de la Roer im Empire Francais regiert.
Die Bürgermeisterei, in der zeitweilig außer Lobberich auch Boisheim und Breyell zusammengefasst waren, gehörte zum neu eingerichteten Kreis Kempen im Regierungsbezirk Düsseldorf der preußischen Rheinprovinz, die ihren Sitz in Koblenz hatte.
Das Wappen der Rheinprovinz zeigte einen schräglaufenden silbernen Wellenbalken in einem grünen Feld und darüber in einem silbernen Schildhaupt einen auffliegen den schwarzen Adler mit goldenem Schnabel und goldenen Fängen.
Es ist heute noch Wappen des Landschaftsverbandes Rheinland und kehrt beispielsweise auch in den Farben der 1900 gegründeten Borussia (= latinisiert für Preußen) Mönchengladbach wieder.
Zum ersten Bürgermeister Lobberichs (und Boisheims) wurde Johann Heinrich Haanen ernannt. Ihm folgte der Rittergutsbesitzer Johann Heinrich Kessels, der während der Gründung der St. Josef-Bruderschaft amtierte und zu diesem Zeitpunkt 38 Jahre alt war. Verheiratet war er mit Adelgunda Dammer, der Tochter des früheren Erbpächters von lngenhoven, Peter Dammer, mit dem er gemeinsam 1820 lngenhoven erworben hatte. 1833 saßen im ebenfalls ernannten Gemeinderat lt. Adreß-Buch für Rheinland-Westfalen
- Johannes Boscheinen, Steuereinnehmer
- Andreas Cloerkes, Oekonom
- Wilhelm Dammer, Leinwandhändler
- Peter Mathias Gartz, Schenkwirt
- Gerhard Heythausen, Oekonom
- Johann Heinrich Huenges, Schenkwirt und Oekonom
- Xaver Mühlen, Gerichtsschreiber,
- Guts- und Mühlenbesitzer
- Peter Paul Schönkes, Schenkwirt, Bocholt
- Th. Stomps, Königlicher Friedensrichter
- Konrad Thielen, Oekonom, Dyck
- Gregor Thoenes, Oekonom, Sassenfeld
sowie - Johann Heinrich Bongartz als Beigeordneter.
Gewählt wurde erst ab 1845 und zwar nach dem preußischen Dreiklassenwahlrecht.
Untere staatliche Behörde war der Landkreis, an dessen Spitze der Landrat stand. Auch der Landrat im Kreis Kempen, Peter Joseph von Monschaw, der 1834/35 in der Gründungszeit der St. Josef-Bruderschaft amtierte, wurde von der preußischen Regierung eingesetzt. Von Monschaw lebte seit 1802 im schon 1515 erstmals erwähnten Dückerhaus in Oedt nahe dem heutigen Auffelder Bauernhofcafe. Erst im Laufe der Jahre entwickelte sich ein neues Staatsbewußtsein, eine erste nationale Gesinnung keimte auf. Aber einen deutschen Nationalstaat gab es noch nicht, auch wenn die Sehnsucht der Menschen danach beispielsweise im Deutschlandlied, das eigentlich ,,Lied der Deutschen" heißt und von Hoffmann von Fallersleben 1841 auf der - seinerzeit britischen - Insel Helgoland gedichtet wurde, zum Ausdruck kommt.
Das Rheinland aber tat sich mit Preußen schwer. Durch Industrie und Handel an der Rheinschiene war es gegenüber dem landwirt schaftlich geprägten Preußen schon recht modern. Die Bürger waren - nicht zuletzt dank der Franzosenzeit - selbstbewusst und aufgeschlossen - und sie waren, anders als im übrigen Preußen, mehrheitlich katholisch. Kein Wunder, dass es Vorbehalte gegenüber der Obrigkeit gab, die sich in manchen Respektlosigkeiten vor allem zur Karnevalszeit niederschlugen.
Das Dorf Lobberich und die Honschaften Bocholt und Sittard
1832: | gesamt: 2.609 937 Einwohner |
Dorf: 143 Häuser | 937 Einwohner |
Bocholt und Sittard: 73 | 478 Einwohner |
Flothend 61 | 382 Einwohner |
Dyck und Rennekoven 75 | 406 Einwohner |
Sassenfeld 72 | 412 Einwohner |
(Zusammenstellung nach Dohms: Lobberich - Geschichte einer niederrheinischen Gemeinde, Kevelaer 1981, S. 237 ff. sowie Listen im Kreisarchiv Viersen, GA Lobberich)
Es fällt auf, dass der Lobbericher Bürgermeister Kessels Bocholt und Sittard in einer gemeinsamen Liste aufführt. Es muss also etwas Verbindendes zwischen beiden Honschaften gegeben haben, das zu dieser gemeinsamen Wahrnehmung führte. War es vielleicht der Ludbach, der ja Teile beider Honschaften durchfließt und an dem die Burg Bocholtz sowie die Althöfe Breuckel, Bengmanns und Merschel liegen? (Analog wäre der Schluss auch für Dyck und Rennekoven wegen des Pletschbachs denkbar.)
Im gleichen Jahr 1832 wurden auch die Pferde-Bestände erfasst: 107 Pferde-Besitzer mit insgesamt 134 Pferden stehen in der Liste vom 26. Dezember, davon 27 mit zwei Pferden, meist Bauern. Drei oder mehr Pferde - Fohlen nicht mitgerechnet - hatte bei dieser Zählung niemand. In der Liste der sämmtlichen Civil-Einwohner zu Sittard und Bocholt vom 28. Dezember 1840 sind weiterhin 73 Häuser und Besitzungen vermerkt, nun aber schon mit 503 Einwohnern.
Liste der sämmtlichen Civil-Einwohner zu Sittard und Bocholt. Aufgenommen Nr. 7 bis 73 am 7.9. 75. December von dem Bürgermeister Kessels zu Lobberich welcher die Richtigkeit verbürgt. Lobberich den 28.ten December 7840. Der Bürgermeister Kessels Siegel. Liste im Kreisarchiv Viersen, GA Lobberich, Bestand 101,1.
Nach 1850 kam es zu einem außerordentlich großen Bevölkerungszuwachs in Lobberich:
- 1850: 2755 Einwohner
- 1860: 3373 Einwohner
- 1870: 4460 Einwohner
- 1880: 5042 Einwohner
- 1890: 7264 Einwohner
Dann aber stagnierte die Bevölkerung fast 100 Jahre, und erst nach 1945 erfolgte erneut ein Anstieg der Einwohnerzahlen. Entsprechend der geringen Anzahl an Häusern und der hier lebenden Menschen war Lobberich 1835 recht überschaubar. Das Dorf bestand im Wesentlichen aus dem alten Ortskern an der Kirch- und Marktstraße, aus der angrenzenden Hochstraße sowie der Kempener Straße und aus ersten Häusern Richtung Süchtelner Straße. Das Sittard und erst recht Nieder- und Oberbocholt, das Heidenfeld, Immenkath, die Vierhöfe und etliche Einzelhäuser und -höfe sowie die Burg Bocholtz lagen aus Dorfsicht weit außerhalb.
Anschaulich zeigt uns das die zeitgenössische Kartenaufnahme, die in den Jahren 1801 bis 1814 durch französische Ingenieuroffiziere unter der Leitung des Obersten Jean Joseph Tranchot und ab 1817 durch preußische Offiziere unter der Leitung des Generalmajors Friedrich Karl Ferdinand Freiherr von Müffling durchgeführt wurde.
Die zeitgenössische Kartenauf nahme von Tranchot und von Müffiing zeigt das kleine Dorf Lobberich
und die verstreut außerhalb liegenden Honschaften.
Landwirtschaft, Wirtschaft, Handwerk, Handel und Gewerbe
Der französischen Herrschaft im Rheinland ist zu verdanken, dass auf der linken Rheinseite die Guts-, Gerichts- und Lehnsherrschaft und das damit zusammenhängende Steuerrecht und das Jagdrecht auf fremdem Boden abgeschafft wurden. Bis zur Franzosenzeit waren die Bauern, die keine sog. freien Höfe besaßen, von Grundherren abhängig und zu Abgaben und Dienstleistungen verpflichtet. Jetzt waren sie überall dort, wo Grund und Boden nicht vom adeligen Grundherren selbst und seinen Nachfahren bewirtschaftet wurden, entweder durch Kauf selbst Besitzer oder aber Pächter des von ihnen bewirtschafteten Bodens.
In Lobberich, speziell auch in Bocholt und Sittard, mussten die letzten Grundbesitzer der Bocholtz-Linie ihre Besitzungen abgeben.
Der Mannesstamm der Bocholtz in Lobberich hatte bereits mit Johann Arnold von Bocholtz geendet. Er hatte im Jahr 1700 - bereits 60jährig - Anna Amalia von Gymnich geheiratet und mit ihr vier Kinder, von denen zwei Töchter erwachsen wurden. Nach seinem Tod im Jahr 1711 heiratete die Witwe 1718 in zweiter Ehe Gerhard Freiherr von der Reck.
Ein Wappenstein am Torbogen zum lngenhovenpark und ein zweiter, der jetzt in der alten Pfarrkirche angebracht ist und vermutlich von einem weiteren Eingangstor stammt, erinnern an das Jahr der Übernahme des Bocholtz-Besitzes durch Johann Arnold von Bocholtz und seiner Eheschließung im Jahr 1700.
Im Jahre 1748 kam es nach dem Tod Anna Amalias zur Erbteilung zwischen den beiden Töchtern des Johann Arnold, der Maria Margaretha Freiin von Bocholtz und ihrer jüngeren Schwester Anna Franziska Baronesse von Bocholtz. Maria Margaretha, verheiratet mit Wilhelm Ludwig Josef Freiherr von Mirbach zu Harff, erhielt aus den Lobbericher Besitzungen die Burg Bocholtz, den Rittersitz Broich (Brockerhof), den Gartzhof und die Roxforter Wasser- und Windmühle.
Anna Franziska, verheiratet mit Adrian Konstantin Freiherr von Bentinck zu Umbrecht, erbte die Burg lngenhoven sowie den Merschelshof, den Höverhof, den Breuckelshof, den Keunissenhof und die Katmühle.
Aus dieser Ehe gingen 16 Kinder hervor. Letzter des Geschlechts war Maximilian Joseph Hyacinth Alexander von Bentinck zu Umbrecht, er starb 1831. Als Grundbesitzer in Lobberich hat er unter schwierigen Umständen wirtschaftlich glücklos gewirkt und musste nach und nach all seine Besitzungen verkaufen.
Beispielhaft ist in diesem Zusammenhang der Eigentumsübergang des 70 (preußische) Morgen großen Merschelshofes auf die Familie Zanders - heute Heinz Zanders - in Sittard. Schon vor 1799 war der Hof in Jahrespacht an Aegidius Zanders und nachfolgend an dessen Sohn Arnold Zanders gegeben. Am 30.12.1799 kommt es dann zum Erbpacht-Contract. Maximilian von Bentinck gibt den Hof nunmehr mit Haus, Scheune, Stallungen, Gärten, Gehölzen, Benden und Weiern in beständige und immerwährende Erbpacht. Zu den Pachtbedingungen zählt unter anderem, dass der Erbpächter alle Gemeindeschatzungen, Zehnten und sonstigelasten einschließlich der Kriegssteuern zu übernehmen hat, ebenso nach dem erwarteten Kriegsende alle Lehenspftichten, die ein Ritterbürtiger wahr nehmen muss. Zu Gunsten von Bentincks wird auch verfügt, dass Zanders alle Kornfrüchte für Mensch und Vieh ohne Ausnahme auf der herrschaftlichen Kaatmühle mahlen zu lassen hat. In Form dieses privaten Vertrages wird damit seitens von Bentinck versucht, ein altes feudales Bannrecht in die neue Zeit zu retten. Und schließlich hat der Erbpächter auf seine Kosten jährlich einen Jagdhund zu füttern und zu unterhalten, sofern der Erbverpächter ihm einen zustellt.
An diesem Beispiel sieht man, wie schwer es dem Adel fiel, Abschied von seinen Privilegien zu nehmen. Aber nach Abschaffung der Feudallasten, die an ihn als bisherigen adeligen Grundherrn zu leisten waren, war von Bentinck wohl nicht mehr in der Lage, diesen und andere Höfe zu halten. So kam es am 1816 zu einem Erblösungsvertrag zwischen ihm und Arnold Zanders und zum endgültigen Eigentumsübergang. Zanders löste den zu leistenden Erbpachtzins für 2.000 Reichstaler an von Bentinck ab, von Bentinck verzichtete seinerseits mit dieser endgültigen Tilgung auf alle Rechte und Ansprüche am Merschelshof. Arnold Zanders konnte von nun an als einziger und alleiniger Eigentümer schalten und walten. Und so wundert es auch nicht, dass Arnold Zanders 1821 Schützenkönig der St. Sebastianus-Bruderschaft wurde.
Das immer noch imposante Schloss Umbricht bei Sittard (NL) im Jahr 2006. Hierher heiratete die jüngste Tochter des letzten Bocholtz, Anna Franziska Baronesse zu Bocholtz. Links erkennt man einen Teil der Wirtschaftsgebäude und des Vorhofes, von dem aus die Brücke auf die Schlossinsel führt. Das Kasteel ist heute im Besitz einer Stiftung, die es auch renoviert hat.
Der letzte Bocholtz-Nachfahre dieser Linie hatte nun endgültig das Eigentum am Merschelshof verloren. In vergleichbarer Weise ist der Eigentumsübergang auch bei anderen Bocholtz-Höfen erfolgt. Selbst Ingenhoven musste er 1820 schuldenhalber an seinen langjährigen Pächter Peter Dammer und dessen Schwiegersohn, den späteren Bürgermeister Kessels, verkaufen.
Man kann sich das gewachsene Selbstbewusstsein der neuen Eigentümer recht gut vorstellen und auch den abnehmenden Respekt vor dem Adel und der vom preußischen König eingesetzten Obrigkeit.
Etwa zur gleichen Zeit wie Arnold Zanders bewirtschaftet in Bocholt Gerhard Tobrock gemeinsam mit seiner Frau Anna Margareta deren elterlichen Stiegerhof. Mindestens vier Mal hatte der Hof schon Schützenkönige gestellt, zuletzt war Gerard Tobrock 1818 selbst Schützenkönig bei den Sebastianern gewesen. Der Hof umfasste seinerzeit eine Fläche von rund 60 kölnischen Morgen Land, das entspricht heute knapp 20 Hektar. Und auch Gerhard Tobrock wird nach dem Ende der Franzosenzeit wirtschaftlich aktiv: er kauft der Maria Margaretha Freifrau von Mirbach zu Harff, geborene Freiin von Bocholtz, und dem Maximilian von Bentinck einige Hektar Land in der Süchtelner Gemarkung Forster Heide ab.
Beide letzten Bocholtz-Linien trennten sich also nach und nach von ihren Höfen und Ackerflächen in Lobberich und Umgebung.
Wie können wir uns nun diese bäuerlichen Familienbetriebe um 1835 vorstellen, wie wurde auf ihnen gewirtschaftet? Von Gerhard Tobrock wissen wir, dass neben den Familienangehörigen drei bis vier Arbeitskräfte für den Hof und sog. Dienstmägde für den Haus halt im Betrieb tätig waren. Sie erhielten neben dem Geldlohn auch Naturalien wie Hemden, Kittel,Hosen, Schürzen und Schuhe.
Wie die meisten Bauern betrieb Tobrock in großem Umfang Schafzucht und stellte dafür extra einen Schäfer ein. Er hielt aber nur wenige Schweine und musste sogar für den eigenen großen Haushalt Schweinefleisch zukaufen. Durch die verbesserte Fruchtbarkeit des Ackers und der Weiden gewann nun die Rindviehhaltung zunehmend an Bedeutung. Der Feldanbau führte zu Geschäften mit Weizen, Roggen und Leinsaat und ab 1816 nachweislich auch mit Kartoffeln. Der Kartoffel-Befehl Friedrichs II von 1756 hatte also bis nach Lobberich im wörtlichen Sinne Früchte getragen.
In ihrer Bewirtschaftungsform entsprachen wohl beide Höfe den Beobachtungen Johann Nepomuk von Schwerz', der ab 1816 im Auftrag des preußischen Innenministeriums unter anderem das Rheinland bereist hatte, um der Regierung über die landwirtschaftlichen Verhältnisse Bericht zu erstatten. Über die Viehhaltung berichtet von Schwerz in den Ausführungen über die Zusammensetzung der Wirtschaft in dem interessanten Kreise von Kempen:
Eine Wirthschaft von 30 Cöllnischen Morgen unterhält 7 Pferd, 5 bis 6 Kühe, 2 Schlachtschweine . ...Eine Wirthschaft von 60 Morgen ge hört schon unter die großen. Die größten haben 3 bis 4 Pferde. Ich kenne nur einen einzigen Hof, wo ihrer 6 vorkommen. Der Gesinde/ahn Festschrift zum Schützenfest 2010 Seite 21 ist hier sehr hoch, worauf die Seidenband-Fabriken großen Einfluß haben . ...Das Gesinde erhält hier täglich zweimal Fleisch...über die Schweinezucht bleibt wenig zu sagen . ..Die höchste Schwere, die sie hier erhalten, ist von 400 Pfund. Die Beobachtungen von Schwerz' decken sich mit den Ausführungen von Peter Dohms in seinem Buch Lobberich - Geschichte einer niederrheinischen Gemeinde, wo als ungefährer Anhalt für die Größe Lobbericher Betriebe bis zur Franzosenzeit etwa 16,5 kölnische Morgen angegeben sind, für 1837 dann annähernd 28 preußische Morgen. Für den ,,Morgen" gab es regional verschiedene Abmes sungen. Hier dürfte 1 kölnischer Morgen etwa 3.177 qm, 1 preußischer Morgen ca. 2.553 qm entsprochen haben. Zum Vergleich: 1 Hektar = 10.000 qm.
Das Zitat von Schwerz' über den Gesindelohn deutet schon an, dass die Textilverarbeitung neben der Landwirtschaft der bedeutendste Wirtschaftszweig jener Zeit wurde. Die Ursprünge der Branche liegen bei den bäuerlichen Familien, die über ihren eigenen Bedarf hinaus Flachs anbauten und die Leinenfasern herstellten, so dass etwa 30 Leinen- und Halbleinenweber mit der weiteren Verarbeitung beschäftigt waren. Neben der Leinenweberei kam nun auch die Baumwoll- und Samtweberei auf. Insgesamt 162 Handwebstühle für Leinen, Baumwolle und Seidenstoffe sollen um 1835 in Lobberich mit allen seinen Honschaften gelaufen sein, davon allein 85 mit 126 Arbeitern in der Baumwollfabrik von Jakob und Quirin Heythausen, die aber schon 1848 in Konkurs ging. 1845 wurde dann die Seiden- und Samtfabrik de Ball, Mitte der 50er Jahre die Firma Niedieck gegründet. Bis dahin hatten die Weber vornehmlich auf Handwebstühlen und größtenteils in Heimarbeit gewebt. Nun spezialisierten sich die Tätigkeiten; Färber, Kettenscherer, Drucker und Spuler traten neben die eigentlichen Weber. Lobberich erlebte in dieser Zeit einen großen wirtschaftlichen Aufschwung, nicht zuletzt dank Initiative und Geschick des Bürgermeisters Kessels, dem die Ansiedlung dieser Firmen gelang. Jahrzehnte lang führte nun die Textilbranche zu Wachstum und Wohlstand.
Schon 1505 hatte der geldrische Herzog Karl von Egmont Lobberich Marktrechte verliehen.landwirtschaftliche Erzeugnisse wie Korn, Leinsaat und Butter, aber auch Flachs und Schafswolle waren seit jeher die wichtigsten Handelsprodukte. An einen blühenden Viehhandel - nicht nur mit Schweinen, sondern auch mit Schafen und Pferden - erinnert uns noch heute der Ferkesmarkt.
Im Textilmuseum DIE SCHEUNE in Hinbeck sind Zeugnisse aus der Entwicklungsgeschichte der Textilverarbeitung am Niederrhein ausgestellt. Im Vordergrund rechts eine Flachsbreche, dahinter ein Spinnrad und links ein Handwebstuhl.
Nun aber kam der Tuchhandel hinzu und bestimmte zunehmend das Wirtschaftsleben. Die gesamte Wirtschaft Lobberichs profitierte davon, und als 1833 ein Offizielles Adreß-Buch für Rheinland-Westfalen herausgegeben wurde, ließen sich über 50 Bürger der Bürgermeisterei Lobberich mit ihren Berufen auflisten. Wir finden darunter interessante Einträge wie insgesamt acht Handelstreibende, fünf von der Königl. Regierung als qualifiziert anerkannte Maurermeister, acht Zimmer meister und zwei Brunnen- und Rohrmachermeister. Daneben gab es in Lobberich alle weiteren wichtigen Handwerker: Schmiede, Schuster, Glasmacher, Hutmacher und Küfer. Und natürlich gab es auch Brauer, Brenner und Schankwirte, eine Berufsgruppe, die um 1834/35 großen Zuwachs erlebte - womöglich ein Schlüssel für die Gründung der St. Josef-Bruderschaft
In dieser Zeit kam es auch zu wichtigen Erfindungen in der Technik. Mechanische Webstühle hielten ihren Einzug und die ersten Eisenbahnen rollten auf Schienen, die später auch den Niederrhein durchzogen. Wissenschaftliche Forschungen und Erkenntnisse beispielsweise in der Agrikulturchemie brachten große Fortschritte bei den Erträgen. Während sich auf der einen Seite Wirtschaft, Technik und Industrie rasant entwickelten, blieben die Menschen von der Möglichkeit zur politischen Gestaltung weitgehend ausgeschlossen. Aber sie waren selbstbewusster geworden, wollten mehr Einfluss nehmen und forderten neue, eigene Strukturen - und in Bocholt auch ihre eigene Schützengesellschaft und Bruderschaft.
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