Chronik der Familie Bongartz - Holz

von Wilhelmine Steinberg 1987

aus: Nettetaler Spätlese. Zeitung für ältere Menschen Nr. 7 / 2002

erneut - diesmal mit Bild - veröffentlicht in Nr 13 (09-2003)


Wenn man von den Gründerjahren im alten Lobberich spricht, sollte man die Familie Bongartz-Holz nicht unerwähnt lassen.

Gegründet 1876 von den Brüdern Hermann und Wilhelm, entwickelte sich das Unternehmen im Laufe von drei Generationen zu einem stattlichen Sägewerk, verbunden mit einem schwunghaften Holzhandel und in jüngerer Zeit auch noch mit modernen Bauelementen. Immer waren es Brüder, die die Firma leiteten. Die Gründer entsprangen einem alten Bauerngeschlecht aus Hinsbeck-Glabbach, und zwar dem Hahnenhof. Früher gehörte zu jedem Bauernhof ein kleines Wäldchen, nicht nur als Holzvorrat für den Eigenbedarf, sondern es wurde für vielseitige Zwecke verwendet. In den kalten, ruhigen Wintermonaten fertigte mancher Bauer allerlei Gebrauchsgegenstände aus Holz an, die dann verkauft, einen willkommen Nebenverdienst ergaben.

Die Brüder Bongartz gründeten mit ihrem Holz erst mal ganz klein ihren Holzhandel, der sich dann immer weiter ausdehnte. Bald sah man sie nicht nur im Raume Krickenbeck, sondern bis hinauf nach Kleve mit Pferd und Wagen kaufen und verkaufen und vielseitige Beziehungen anknüpfen. Ihre besten Kunden waren das Kloster Steyl und die Firma Niedieck.

In den aufstrebenden Gründerjahren wurde viel gebaut und Holz benötigt. Die Brüder Bongartz erkannten die Marktlücke und wussten sie zu nutzen.

Interessant ist, dass beide Brüder Schwestern heirateten, und zwar Töchter der Hillenmühle, der jetzigen Lüthemühle im Sassenfeld. Bei der Familiengründung kauften sie die Grundstücke Ecke Bahnstraße, der jetzigen Niedieckstr. und der damaligen Verbindungsstr., der heutigen Werner-Jaeger-Straße. Hinter den sich gegenüber liegenden Wohnhäusern dehnten sich Holzlagerplätze, Pferdestallungen und Remisen aus.

Interessant ist, dass sich noch zwei andere Unternehmen fast zur selben Zeit und als enge Nachbarn der Bongartz selbständig machten. Die Nähe der 1880 in Betrieb genommenen Eisenbahn günstig ausnutzend,  (Anmerkung) ließ sich die damals 1. bahnamtliche Spedition Wirtz Ecke Bahnstr. Verbindungsstr. nieder; auch für sie waren wiederum Niedieck die besten Kunden. Gegenüber, mit der Seitenfront zur Verbindungsstr. öffnete Schmied Jüsgen seine Tore. Alle Familien waren befreundet, hatten sich gegenseitig nötig und ergänzten sich prächtig.

Wilhelm Bongartz Ehe mit Lena Hillen blieb leider kinderlos. Ob aus diesen oder anderen Gründen pilgerte das Paar nach Rom und erhielt den Segen von Papst Leo XIII, was zur damaligen Zeit etwas gänzlich Ungewöhnliches und Besonderes war.

Hermann's Ehe mit Petronella Hillen war mit 6 Kindern gesegnet, 4 Mädchen und 2 Buben. Die Mädchen verheirateten sich alle in die nähere Umgebung, und zwar nach Kempen, Neersen, Breyell und auch Lobberich.

Die Söhne Theobald geb. 1886 und Wilhelm geb. 1884, setzten mit Umsicht und Tatkraft das Werk ihrer Väter fort. Da ihr Vater Hermann schon 1902 starb, wurden sie früh zur Selbstständigkeit gezwungen. 1910 bauten sie für ihr Sägewerk ein Kesselhaus mit Dampfmaschine und engagierten einen Maschinisten aus Holland namens Jansen. Dieser wurde später Schausteller und Gründer der Kinos in Kempen und Lobberich. Er war der Großvater des heutigen Kinobesitzers Arnold Straeten in Lobberich.

Beim Ausbruch des Weltkrieges 1914 wurde Theobald sofort eingezogen und geriet in russische Gefangenschaft. In Taschkent, Südrussland, landete er ungewollt einmal bei den Weißrussen, sowie auch bei der Trotzki-Armee. Ein Glück, dass ihm nichts Schlimmeres passierte als mit einer schweren Malaria 1919 heimzukommen.

Um nicht auch eingezogen zu werden, rüstete Willi schlauerweise das Sägewerk zu einem kleinen Rüstungsbetrieb um und drehte dort Rohrgranaten. Von der gleichen Idee beseelte Freunde, Emil Hören und Ull Weyer, halfen ihm dabei. Erst nach dem Kriege heiratete Theobald die jüngste Schwester meines Vaters Wilhelm Strack, genannt Tante Minny. In jeder Weise eine gute, erfolgreiche Verbindung, aus der vier prächtige Kinder hervorgingen. Theobald war das Vorbild eines freundlichen, liebevollen und sehr toleranten Mannes und Vaters. Von ihm sagte man: "Dem kannste mit de Schürkar über de Buk fahren, dann schreit de noch net ens um Help". Was sehr viel aussagt Er leitete die Firma vom Kaufmännischen her, hatte das Büro und den Kleinverkauf unter sich. Trotzdem die Brüder Willi und Theobald so sehr verschieden waren, kamen sie prächtig miteinander aus. Einer ergänzte den anderen.

Der robuste, dicke Onkel Willi, wie wir Kinder ihn nannten, führte die Außengeschäfte der Firma. Er konnte mit seinen schweren Kaltblüterpferden umgehen, als wären sie Spielzeug. Geschlagene Stämme wurden vom Wald direkt ins Sägewerk transportiert.

Er war mit einer der Ersten, die einen Privatwagen anschafften, um schneller in seine Außenbezirke zu kommen. In jeder Weise war er ein Original. Die komischsten Geschichten waren über ihn im Umlauf.

Bevor er den Wagen anschaffte, fuhr er jahrelang ein schweres Motorrad, was vorn eine große Karbidlampe und hinten ein Gestell in Form eines kleinen Korbsessels besaß. Darin kam Tante Minna, Ehegesponst von Onkel Willi zu sitzen. Die Beiden gaben ein prächtiges Gespann ab und wogen zusammen so an die 450 Pfund. Eines Tages bei einer Ausfahrt, als die Lampe nicht mehr so recht funktionierte, befahl Willi seinem Neffen Hermann, der mit von er Partie war, darauf zu pinkeln, damit es wieder Licht werde. Saßen die Beiden im Auto, musste Minna immer hinten rechts sitzen, damit das Gleichgewicht stimmte. Durch seinen dicken Bauch wetzte das Steuerrad seine guten Anzüge blank, worauf Minna ihm eine kleine Lederschutzweste verpasste.

Leider hatte das Paar keine Kinder. Dafür liebten sie Theobald's Sprösslinge um so mehr. Besonders Hermann, den Ältesten, sahen sie fast als den ihren an und behandelten ihn auch so. Theobald's Kinder wurden sozusagen von 2 Vätern und Müttern erzogen und angelernt.

Während Hermann in vielen Dingen seinem Vater glich und auch später in seine Fußstapfen trat, kam Willi in sehr gemäßigter Form auf seinen Patenonkel.

Aber erst nach dem 2. Weltkrieg kam die jüngere Generation so richtig zum Zuge. Sie übernahmen die Firma 1947 in eigener Regie. Bei der Gründung der Bongartz KG führten sie viele Neuerungen ein und alles wurde gründlich modernisiert. Unter der tüchtigen Leitung der mit viel Energie geladenen ideenreichen Brüder blühte und gedieh das Geschäft und erreichte in jeder Hinsicht einen Höchststand.

Hermann heiratete 1944 die Tochter des damaligen Bürgermeisters Marx. Zwei Kinder gingen aus dieser Verbindung hervor.

Willi ehelichte die vierte Tochter der mädchenreichen Familie Derix aus Grefrath.

Die einzigste Tochter von Theobald und Minchen, sozusagen die Rose unter der dornigen Männerwelt, ging den Bund für's Leben mit dem liebenswerten Dr. Alfred Bong aus Süchteln ein. Von seinen Patienten auch Dr. Sonnenschein genannt.

Der jüngste Sohn Karl entwickelte sich zu einem tüchtigen Atomphysiker, arbeitet in Jülich und hat auf dem Wege von Austauschwissenschaftlern die halbe Welt bereist.

Es ist der Lauf der Welt, dass von kleinen Anfängen gewachsene Unternehmen nach mehren Generationen ihre Pforten schließen müssen. Doch sei nicht vergessen, dass sie zu ihrer Blütezeit tüchtig und erfolgreich waren und vielen Menschen Arbeit und Brot gaben.


Anmerkung eines aufmerksamen Lesers L. Dolzer im Gästebuch:

Zu einem Artikel in der "Spätlese": Die Eisenbahnverbindung Kempen-Kaldenkirchen(-Venlo), die bekanntermaßen durch Lobberich führte (die Gleise liegen immer noch), wurde nicht 1880, sondern schon am 1.1.1868 in Betrieb genommen. Nachdem 1983 der Personenverkehr eingestellt worden war, gab es noch einen florierenden Güterverkehr (auch rangiert wurde in Lobberich noch), der jedoch zu Beginn der 1990er Jahre stark eingeschränkt wurde (bedient wurden noch zwei Privatanschlüsse am Lobbericher Güterbahnhof sowie hinter dem Grefrather Bahnhof). Stillgelegt wurde die Strecke, die zu ihren guten Zeiten einmal Hauptbahn gewesen war und mit der Konkurrenzlinie Viersen-Kaldenkirchen durchaus mithalten konnte, erst im Jahre 2000. Es sollte sogar einmal eine Linie von Lobberich über Boisheim nach Waldniel gebaut werden, die quer durch den Ort geführt worden wäre. Falls es irgendjemanden in Lobberich interessiert.........


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