Wider das Vergessen

von Hildegard Weyand

aus: Nettetaler Spätlese. Zeitung für ältere Menschen Nr. 7 / 2002


Während eines Kurzurlaubs auf der Insel Usedom besuchten wir das ehemalige Raketenversuchsgelände in Peenemünde, das heute ein Informationszentrum ist. Mich interessierte besonders die Beschreibung der "V l" ? die es dann auch im Original zu sehen gab.

Meine Gedanken gingen in diesem Augenblick zurück an das Geschehen im Februar 1945 in Lobberich.

14 Tage vor dem Einmarsch der US-Truppen war es passiert. Es war um die Mittagszeit, als ein furchtbares Heulen und Pfeifen in der Luft die Stille des Tages zerriss. Die Menschen liefen aus ihren Wohnungen. Aber keiner wusste, was geschehen war, denn nun hatte sich auch der Himmel mit Rauch und Asche angefüllt. Dauerte es Minuten oder eine Ewigkeit, bis es - gleich einem Lauffeuer - bekannt wurde: eine Rakete ist in der Nähe niedergegangen, irgendwo in der Nähe des Ingenhovenparks - Schnell stellte sich dann heraus: eine "V 1" war in das Hotel Köster (heute Deutsche Bank) eingeschlagen und hatte dieses und Teile der Nachbarschaft, in Schutt und Asche gelegt.

Zur selben Zeit luden Soldaten Feldbetten ab, die mit einem Pferdegespann angekommen waren. Soldaten, Pferd (Pferde?) und Geräte wurden von der Druckwelle des explodierten Geschosses zerrissen und umhergeschleudert bis in die Kronen der Pappeln am Eingang zum Ingenhovenpark.

Die Straße war zwischenzeitlich voller Menschen, die in Panik nach Hilfeschreienden suchten. Ich selbst erlebte in unmittelbarer Nähe diese Szenen von Hilflosigkeit. Später lichtete sich die bisherige Unwissenheit, wie nun das alles gekommen war:

Eine Rakete - jene "Vl", die als "Wunderwaffe" propagiert worden war - hatte ihren Weg verfehlt. In der Nähe von Moers von einer Rampe gestartet - und für England bestimmt - brachte Zerstörung und Tote im "eigenen Land".

Es wurde noch viel gedeutet und getuschelt, aber alles Genaue versank unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Die genaue Zahl der Toten wurde nie festgestellt, weil viele fremde Soldaten unter den Toten waren. 45 Leichen wurden in der alten Kirche aufgebahrt und später auf dem Ehrenfriedhof beigesetzt.

Obwohl dieses furchtbare Geschehen viele Jahre hinter uns liegt, ist es doch bedauerlich, dass nicht eine Gedenkplatte oder dergleichen an das Vorgekommene erinnert - sei dies an der Deutschen Bank (vormals Hotel Köster) oder auch am Tor zum Ingenhovenpark.

Es wäre ein Stück "Lobbericher Chronik" - gegen das Vergessen!


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