Die Breyeller Straße

von Wilhelmine Steinberg

aus: Nettetaler Spätlese. Zeitung für ältere Menschen Nr. 8/ 2002

Eine der wenigen Strassen in Lobberich, die im Laufe der Jahrzehnte ihren Namen nicht veränderte, ist die gute alte Breyeller Strasse. Sie ist eine der längsten, ältesten, bedeutendsten und verkehrsreichsten unseres Städtchens und verläuft vom südlichen Ende der Hochstrasse in westlicher Richtung bis zur damaligen Röllkens Mühle an der Nette.

Die Breyeller Strasse hat eine lange Geschichte. Sie war damals schon gepflastert, trug aber zu den Bürgersteigen ziemlich steil ab. Sie gehörte zu den beliebtesten Verbindungen, die nach Holland führten. In den 90iger Jahren des vorvorigen Jahrhunderts gab es dort bereits Laternen, die von der Niedieckschen ‚Gasfabrik' gespeist wurden. Sie wurden von ‚Lateere Pitt Hubbertz' abends gezündet und morgens gelöscht.


Lantä-ere Pitt an der Alten Kirche

Die um die vorige Jahrhundertwende dort wohnenden Bürger waren ein originelles, deftiges Völkchen von großzügiger Natur und heiterem Wesen. Man traf sich häufiger zu einem Dröppken in den damals sehr beliebten und auch heute noch zum Teil bestehenden Wirtschaften von Julius Trittermanns, Johann Hillenbrands, Wilhelm Bispels, Krummeich und Beckers Willi. Bei Hillenbrands, Krummeich und Beckers gab es die ersten Kegelbahnen. Die Nachkommen der Bürger, die um die Jahrhundertwende dort wohnten, wissen viele originelle Geschichten ihrer Vorfahren und ihrer eigenen Kindheit zu berichten.

Als Grenze nach Breyell wurde immer der sogenannte Breyeller See, das heutige Nettebruch, angesehen, den wir Lobbericher aber immer als zu uns gehörend betrachteten. Die durchfließende Nette war die Antriebskraft der ‚Röllkens.Mühle', die sich sozusagen als letztes Gebäude auf Lobbericher Boden befand.


Nettebrücke Breyellerstraße 1916

Das schöne große Haus nebenan beherbergte zur Blütezeit der Niediecks einen Konsum, der von der Gewerkschaft im Verein mit der Werksleitung von Niedieck betrieben wurde. Anschließend, rechts und links der Straßenseiten, erstreckten sich die Niedieckschen Fabrikgebäude. Die Firma gab nicht nur vielen Menschen Arbeit und Brot, sondern prägte auch sehr das Handwerker- und Geschäftsleben der Breyeller Straße und legte den Grundstein für viele spätere Unternehmen. An der Ecke Breyeller/ Kampstrasse lag die gut florierende Wirtschaft Willi Becker, die mit Saal ausgestattet war und wo von allen Vereinen wichtige Veranstaltungen stattfanden. Sie wurde so zur wahren Goldgrube. Heute hat dort die Firma Busch ein großes Verkaufs- und Ausstellungsgebäude für ihre immer größer werdende Möbelschau errichtet. Es ist ein Familienunternehmen aus tüchtigen, ideenreichen Mitgliedern.

Der freie Platz zwischen der Kampstrasse und dem Tuddel wurde Niedicks Kull genannt und von der anderen Seite - der Flothender Strasse - Bispels Kull. Es gastierte dort häufig ein kleiner Zirkus und als Spiel- und Tummelplatz für die Kinder war er ideal.

Die unverheiratete Dörchen Bispels - man staune: gelernte Metzgergesellin - leitete lange den Tuddel, wo sie auch ihre selbstgemachte Wurst immer gut an den Mann brachte. Der Tuddel, eine alte, solide, urgemütliche Kneipe, floriert auch heute noch als tüchtiges Familienunternehmen. Alt und jung, alle regen dort ihre Hände, um den Gästen das Beste zu bieten.

Etwas weiter, stadteinwärts, wurde das heutige Haus Moonen vom Kaufmann Winz (Textilien aller Art) bewohnt. Direkt nebenan hatte sein Bruder seine Zelte aufgeschlagen. Die Brüder waren sich sehr zugetan, sozusagen ein Herz und eine Seele. Doch eine urkomische Sache konnte sie gegenseitig in Rage bringen. Hinter jeder ihrer Haustüren stand ein Eimer mit Kehrblech und Feger. Kam ein Pferdefuhrwerk vorbei und die Gäule äppelten gerade in Hausesnähe, stürzte jeder der Winzen heraus, um sie einzusammeln. Wer den Löwenanteil ergatterte, erregte Zorn und Neid des anderen. Obschon das Wort ‚Bio' damals gänzlich unbekannt war, wurden die Gärten naturgemäß gedüngt und behandelt.

Hinter dem Haus, von nur einem Steinmäuerchen eingefasst, befand sich die sogenannte Jauche- oder Düngegrube. Alles, was das Plumpsklo ablieferte, ergänzt durch Küchen- und Gartenanfälle, sammelte sich dort an. Bei der Leerung, so wurde mir berichtet, wäre fast jedes Familienmitglied schon einmal hineingefallen. Ein wahres Wunder, dass sie den Sturz in den Mist lebend überstanden.

Großvater Winz, ein alter Geizkragen und Dreespott, kam eines Tages vom Laden in die Küche gepoltert und knurrte:' Jonk ens in de Laden, da kannste een paar Ferkes sieh'n' Und wer waren die sogenannten Ferkes? - Zwei dralle Nachbarinnen, angetan nach neuester Mode mit ärmellosen Kleidern. Das war nach Ansicht des alten Winz absolute Ferkeserei. So streng waren da die Bräuche. Ein Vetter der Winzen, ein alter Bastler und Tüftler, legte einst unter einer großen Badewanne, wo gleich drei Kinder zusammen reinpassten, eine kleine Gasleitung, um nicht immer das warme Wasser schleppen zu müssen.

An einem Badetag wurde die Wanne angeheizt und die Kinder hineingesetzt. Zu spät stellte man fest,, dass das Wasser aus einem unerklärlichen Grund abgelaufen oder erst gar nicht eingefüllt worden war. Nachdem die Kinder brüllten wie am Spieß, weil ihr Hinterteil geröstet wurde, kriegten sie zuerst einmal ein paar gewuscht, weil man glaubte, sie stellten sich nur an. Kurz vor der Katastrophe entdeckte man das Malheur. Man war damals eben nicht so zimperlich!

Die beste Nachbarschaft der Winz und Umgebung war die aus Bracht stammende Greta Föhles aus der Kohlenhandlung. In allen brenzligen Lebenslagen half sie wie ein Doktor und wurde immer gerufen, wenn Not am Mann war. Die Kohlenhandlung mit ihren Kohlenbergen war ein beliebter Spielplatz für Kinder aus der Umgebung. Mit Vorliebe kletterten sie auf die schwarzen Berge und ließen sich dann herunterrutschen, zum Ärger von Greta, weil die Kohlen dann weit verstreut herumlagen und zum Ärger der Mütter, weil ihre Kinder wie die Schornsteinfeger heimkamen. Nur sonntags duldete Greta das Klettern auf den Kohlebergen, weil dann auch vornehmere Kinder, angetan mit weißen Schürzen, den Kohlenplatz als Spielwiese bevorzugten und dabei pottschwarz wurden. Sie freute sich, dass die Kinder der sogenannten Besseren sich genauso ausstrichen, wie ihre eigenen an Kohle gewohnten.

In der Nähe führten Gartz - gesegnet mit sieben Kindern - ein Dekorations- und Textilgeschäft. Der Vater vertrieb hauptsächlich Anzugstoffe und fuhr per Motorrad über Land. Die Mutter stammte aus der Bongartz-Holz-Sippe. Tochter Adele spielte mit ihrer wunderschönen Stimme eine große Rolle im Kirchenchor und im Vereinsleben. Die Wäscherei Schäfer war zur damaligen Zeit auch ein ansehnliches Unternehmen.

Ebenso darf man Kohlenhandlung und Fuhrunternehmen der Familie Vaas nicht unerwähnt lassen. Der letzte der Sippe - Toni - ist nicht nur ein tüchtiger Mann, sondern auch ein Hobbykünstler, der viel Lob für seine Arbeiten erntet.


Foto: Wilhelm Tobrock ()

Eine der ältesten und bekanntesten Familien ist jedoch die Familie Feikes - Fuhrgeschäft und bahnamtliche Spedition. Ebenfalls fuhren sie den Leichenwagen. Zwei Brüder leiteten das Unternehmen. Willi hatte das Ausfahren der Speditionsgüter unter sich . Damals noch mit Pferd und Wagen sah man ihn täglich durch die Lande ziehen. Sein Herz für Kinder erlaubte es vielen kleinen und großen Buben mitzufahren. Sie versuchten dann sich eifrig nützlich zu machen.

Anstreicher Alois Engbrocks, versippt mit Winz, heutige Galerie Steinbergs besaß ein schönes Geschäft für alle Bedarfsartikel der Anstreicherei.

Besonders viele Bäckereien und auch Metzgereien hatte die Breyeller Strasse. Wie das waren Bäcker Hermann Gronen, Abels, Pauw und Strucken. Ein Teil der Geschäfte existiert noch unter den alten Namen, wieder andere fanden tüchtige Nachfolger. Ecke Freiheits/ Breyeller Strasse hatte sich Lebensmittelgroßhandlung Rollbrocker ausgebreitet. Hier wohnte auch Bürgermeister Eger.

Das heutige Autohaus Hölter wurde früher von den Gebrüdern Krummeich bewirtschaftet, und zwar hatte Josef Fahrräder-Neuverkauf und Reparaturwerkstatt unter sich. Wille reparierte und interessierte sich für alles, was mit Radio zu tun hatte und Fritz, der Rechenkopf, war Mathematiklehrer. Ein interessantes Dreigestirn ergänzt durch Schwester Paula als Klavierlehrerin. Vor ihrer Zeit beherbergte das große Gebäude eine Wirtschaft mit Saal.

Bevor der Tierarzt Dr. Bocksteeger ein Bürger der Breyeller Strasse wurde, bewohnten Stieger das Haus nebst Nebengebäuden. Sie betrieben eine kleine Schuhfabrik. Nach Bocksteeger schlug Korbmacher Heidhausen dort seine Zelte auf. Er verkaufte nicht nur Körbe, sondern stellte sie auch eigenhändig her.

Unbedingt erwähnen muss man Leben und Arbeiten der Gebrüder Riether. Sie fabrizierten Bürsten aller Art und waren führend in der Lobbericher Turnriege und dadurch ziemlich über die Grenzen hinaus bekannt. Die einzige Schwester Annchen war eine tüchtige und beliebte Hausschneiderin. Wie man hört, gibt es kaum eine Berufssparte, die nicht auf der Breyeller Strasse vertreten war, wenigstens um die vorige Jahrhundertwende herum.


Foto: Wilhelm Tobrock ()

Neben Schmiederei Peltzer - fünf Söhne - wohnten Peuten, damals Direktor bei Niedieck.

Der Nachfolger, als Peuten-Lack bekannt, war versippt mit der Familie Pickers.

Das Geschenk- und Spielwarengeschäft der Hauser Maria, Inhaber August Buntenbroich, war ein selten schöner Anblick während der Weihnachtszeit für die Kinder, die sich ihre Näschen an der Scheibe plattdrückten, um all die Herrlichkeiten zu erfassen.

Die frühere Gaststätte Hillenbrands übernahm der Wirt Heinrich Haus. Ein schöner Spruch der alten Lobbericher abends lautete: "Jont wer nu nach Haus oder nach Heem". Heute ist es das bekannte Haus Boos-Stiels.

Putzmacherinnen gab es gleich drei auf der Breyeller Strasse. In früheren Zeiten Maria Dor und später eine Tochter aus der Schramm-Sippe. Die alte Schreinerei der Gebrüder Grachten besitzt heute J. Helgers nebst Sarglager und Beerdigungsinstitut. Nicht vergessen darf man den Briefträger Heusen, dessen Sohn als Arzt in Mülheim einen ausgezeichneten Ruf genießt. Seine Schwester Lisa war als etwas schrulliges Mädchen bekannt.

Das allerkleinste Haus der Breyeller Strasse - noch mit Lehmfußboden versehen - bewohnte lange Kathrinchen Thönissen. Es wurde vor ca. 15 Jahren abgebrochen.

In dem Reigen der Geschäftsleute muss man unbedingt das alte Dekorations- und Postergeschäft Ottokar Heckert nicht vergessen und ebenso bekannt ist das Textil- und Bekleidungsgeschäft Ludwig Schäfer.

Zwischen Metzger Buschmann und den Ausstellungsräumen der Firma Hölter befand sich in unserer Jugendzeit ein Konsum für die Allgemeinheit, geleitet von Fräulein (sie legte großen Wert auf diesen Titel) Annchen Terhaag mit dem großen Hörrohr.

Was kaum jemand weiß, das gleich neben Feikes gleich zwei Zahnärzte wohnten, die Gebrüder Gries. Auch gab es in jener Zeit schon eine kleine Privatbank der Familie Marqui, verwandt mit Wäscherei Schäfer. Wenig bekannt wird auch sein, dass die Eltern des Professor Werner Jaeger (der große Sohn unserer Stadt), eine Lithographieanstalt betrieben.

In den jetzigen Helgerhaus , vorher Trittermann, wohnte in unserer Kindheit der damals sehr bekannte Dr. Riemann. Noch zu erwähnende Handwerksbetriebe sind Schuhmacherwerkstatt Weyers, Schneiderei Richard Meis und Bauunternehmen Neutges.

Die Breyeller Strasse wurde auch im Volksmund die ‚Hei' genannt. Daraus entsprang das "Heideröslein" - eine Karnevalsgesellschaft, die weit über Lobberichs Grenzen hinaus bekannt war. Paula Schiffer, geb. Bispels spielte bei den Revuen eine Glanz- und Bombenrolle.

In den Gaststätten fanden damals wie auch noch heute, viele Feste der Vereine und Dröppkes-Sitzungen statt. Die Anwohner der Strasse waren sich sehr zugetan und teilten Freud und Leid miteinander. Das süßeste Lädchen im wahrsten Sinne des Wortes der Breyeller Strasse war der Bröckskes-Laden des Kutscher Johann und seiner Pflegetochter Mariechen. Das romantische mit Weinlaub umrankte Häuschen bildete den Eckpfeiler der Bleich- und Breyeller Strasse. Das blonde Mariechen wurde von Alt und Jung umschwärmt und heimlich sehr verehrt. Selbst Kinder waren beglückt, wenn das Mariechen ihnen auf ihre anmutigste Art die Bröckskes in die Hände füllte. Sie wurde die Mutter des Ehrenvorsitzenden Hans Meis.

In Erinnerung geblieben sind auch die Jugendspiele der damaligen Zeit. Auf dem Grünen Weg - zwischen Breyeller Strasse und Friedhof, vergnügten sich die Jungen und Mädchen. Bei den Mädchen ging es etwas sittsamer zu. Man spielte Ball, Seilchenspringen, Kölschen, Verstecken und Nachlaufen. Wilden Indianern gleich kamen die Jungen auf die verrücktesten Ideen. Sie führten Schlachten mit dem Konkurrenzunternehmen Allee- jetzige Düsseldorfer Strasse. Näherte sich ein fremder Hahn dem Hühnerhof, ging es gleich zur Sache. Man baute Zelte, die man gegenseitig eroberte, spielte Räuber und Schandit, Fußball, Bockspringen und Gott weiß was sonst noch. Ob Kinder oder Erwachsene, alle Bewohner der Straße fühlten sich fast wie eine Familie, wo man Höhen und Tiefen gemeinsam erlebte.

Die neue Zeit brachte mancherlei Veränderungen. Die Strasse ist glatt und eben asphaltiert. Es fährt sich jetzt bequem und ohne Rumpelei Richtung Breyell. Fast jedes Haus hat eine Schönheitsreparatur mitgemacht. Die Menschen leben komfortabler und sehr viel bequemer. Die Technik der Neuzeit brachte viel Erleichterung mit sich.

Doch deswegen ist die gute alte Zeit noch lange nicht vergessen. Man arbeitete zwar mehr, doch alles ohne Hektik und mit einer gewissen Gemütlichkeit.

Nachbarliche Zuneigung, Hilfe und Zuwendung waren selbstverständlich und machten das Leben angenehm und leichter.

Darum sei der guten alten Zeit der Breyeller Strasse ein kleines Denkmal gesetzt.


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