Historie und Anfänge des Sassenfelder Kirchweges in Lobberich

Von Heinz Dusen

aus: Nettetaler Spätlese. Zeitung für ältere Menschen Nr. 9/ 2002


Beginn der Nachbarschafts-Erinnerungen

Die Entstehungsgeschichte des Sassenfelder Kirchweges lässt sich über mehr als hundert Jahre zurückverfolgen. Ursprünglich handelte es sich um einen unbefestigten Karrenweg, den die Sassenfelder Bevölkerung benutzte, um in die Ortsmitte zu gelangen, sei es zum Markt, zur Arbeit oder an Sonntagen zur Kirche.

Anfang der fünfziger Jahre wurde dieser Weg zur Strasse ausgebaut und mit einer Sand- und Schotterdecke versehen. Kanalisierung und Anschluß an den Hauptkanal, sowie Asphaltierung der Strasse und Plattierungen der Gehwege erfolgten erst nach und nach.

Die ersten Bauabschnitte unserer Nachbarschaft wurden 1952/53 mit fünf Doppelhäusern begonnen und als Siedlerstellen im Erbbaurecht auf Kirchengelände errichtet. Federführend war die Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft für den Landkreis Kempen - Krefeld. Es handelte sich hierbei um die Häuser mit den Nummern 52 bis 70 mit fünf Eigentümern und fünf Einliegerwohnungen.

Die Errichtung dieser Siedlerstellen hatte vornehmlich den Zweck, Arbeitern - zumeist aus der Textilbranche - zu späterem Eigentum zu verhelfen und im ländlichen Stil Kleintier- und Gartenhaltung zu ermöglichen. So waren unter anderem Hühner- und Schweinehaltung vorgegeben, wovon meines Wissens zum letzteren nur ein Nachbar Gebrauch machte.

Badezimmer, Telefonanschlüsse oder sonstige Errungenschaften waren 1952/53 nicht vorgesehen, was aber später von den jeweiligen Eigentümern in Eigeninitiative nachgeholt wurde. Im zweiten Bauabschnitt 1954/55 erfolgte dann die Errichtung der Häuser gegenüber mit sechs Eigentümern und jeweils sechs Einliegerwohnungen mit den Hausnummern 51 - 71.

Eigentlich war im Anfang alles sehr primitiv. Trotzdem war die Resonanz für den Erwerb eines Eigenheimes groß, obwohl es auch manche Schwierigkeit zu überwinden galt, besonders in Bezug auf Eigenleistungen und Finanzierungen. Geholfen hat sicher auch bei allen das Zusammengehörigkeitsgefühl der Erwerber untereinander, was sich in sogenannter Nachbarschaftshilfe offenbarte. Ich erinnere mich gerne an die gemeinsame Mithilfe von Nachbarn bei Plattierungen, Hofgestaltung und Einzäunungen, sowie Installierung von Wäscheleinen-Anlagen, Obstbaumschnitt und vieles andere.

Ähnlich war es auch bei Nachbarschafts-Treffs, bei Zusammenkünften anläßlich der Vorarbeiten bei Gold- und Diamanthochzeiten oder bei Schützenfesten. Bei solchen Anlässen sorgten beim Röschendrehen- und kränzen nicht nur ein kräftiger Umtrunk, sondern auch die Unterhaltungen für Stimmung und Singsang. In diesem Zusammenhang ist zu vermerken, daß bei anfallenden Goldhochzeiten auch die Nachbarschaften Erkelenzer Bahnhof und die Stichstrassen Sassenfelder Kirchweg mit einbezogen waren, gewissermaßen als erweiterte Strassengemeinschaft.

Insgesamt hat es bis jetzt sieben Goldhochzeiten und zwei Diamanthochzeiten gegeben - aber auch über fünfzig Trauerfälle. Der erste Trauerfall war mit Peter Lies in 1954 und der letzte 2001 mit Peter Schwahn.

Bei den Trauerfällen in den ersten Jahren war es so Brauch, daß der Tod noch mit einem Trauerflor an der Haustür symbolisiert wurde und die Benachrichtigung von Haus zu Haus erfolgte, wobei dann beim sogenannten Wischen die Sargträger und sonstigen Modalitäten festgelegt wurden.

In diesem Zusammenhang sei auch daran erinnert, daß sich schon in 1954/55 ein Nachbarschaftsgremium bildete, welches aber zunächst nur in Beerdigungsfällen in Aktion trat. Später kamen dann noch Ehrungen bei Heiraten, runden Geburtstagen, Jubiläen und Kindtaufen dazu.

Die mit diesen Aktivitäten verbundenen Kosten wurden im Anfang im Umlageverfahren finanziert. Eine verpflichtende Satzung wurde erst 1982 manifestiert und damit auch regelmäßige Nachbarschaftsbeiträge festgelegt. Wesentlicher Bestandteil dieser Satzung, die bis heute Gültigkeit hat, ist eine sogenannte Freud- und Leid - Kasse.

Besonderheiten

Ein besonderes Ereignis war im Oktober 1953 die Rückkehr aus russischer Gefangenschaft des Nachbarn Andreas Hausmann, der mit vielen anderen Gefangenen nach Verhandlungen zwischen dem damaligen Bundeskanzler Adenauer und den russischen Präsidenten Chruschtschow als ERSTER nach Lobberich entlassen wurde. Seine Frau wohnte bei uns als Einlieger-Mieterin.

Nostalgisches und andere Fakten

In den Anfängen des Bestehens der Nachbarschaft Sassenfelder Kirchweg gab es noch keine geregelte Müllabfuhr. Die Gemeindeverwaltung verpflichtete zum Abholen des Mülls die Firma Feikes, die mit einem LKW den Abfall abholte. Anfallende Kartoffelschalen-Abfälle holte auch damals Amman, der taubstumme Knecht des Krankenhauses mit seinem Wägelchen und Esel bei uns und anderen Stammkunden ab.

Es gab auch noch nicht die heutigen Supermärkte mit ihren vielseitigen Angeboten. Der Milchmann Dammer Will hatte auf seinem Dreirad- Töff einen Milchtank installiert. Die Milch wurde mit einem Litermaß abgezapft und mit der Toet zu den Kunden gebracht oder in Kannen oder sonstigen Gefäßen am Wagen abgeholt.

Zumeist wurden die Leute von den Tante-Emma-Läden aber auch durch rundfahrende Bäcker- Gemüse- und Lebensmittelwagen bedient.

Auch daran erinnere ich mich gerne

Jahrelang haben wir mit drei bis vier Nachbarn eine Skatgemeinschaft gebildet, wobei im Wechsel mal hier mal dort im Nachbarhaus gespielt wurde. Natürlich gab es dabei jeweils einen kräftigen Umtrunk, so dass manchmal die Stimmung besser war als das Blatt. Unsere Frauen haben sich dann an solchen Skat-Nachmittagen zum Kaffeetrinken und Abendessen getroffen und den Abschluß bildete dann eine gemeinsame Plauderei.

Oder dies

Wie war es doch schön, wenn damals unser Nachbar Josef Schrömges in der Nacht zum 1. Mai des Jahres die Posaune blies, ohne dabei auf das Schlafbedürfnis der Nachbarschaft zu achten und ohne dass dies von dieser beanstandet wurde.

Zusammenfassend ist herauszustellen, daß so mancher Brauch und auch Gewohnheit inzwischen Vergangenheit geworden ist und daß alles, was wir heute als Selbstverständlichkeit hinnehmen, sich erst allmählich entwickelt hat.


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Fotos vom Sassenfelder Kirchweg