1000 Jahre Lobberich

Geschichte und ihre Geschichten -
ein Leseheft für Schulen und Familien


Was einen Bauern im Jahre 1520 bewegte

Dryes to Broeck im Sassenfeld (heute Hartges) hatte den ganzen Tag über im Bruch getorft. Er kippte die letzte Fuhre von der zweirädrigen Pferdekarre auf den großen Torfhaufen links vor der Scheune, das Ergebnis dreitägiger Arbeit. Das würde genug an Hausbrand für ihn und die umliegenden Kötter sein, wenn da noch einige Fuhren Holz aus den Sassenfelder Peschen hinzukämen, dachte er bei sich. Am nächsten Tag wollte er einige gut gewachsene Buchen fällen, die er dann im Winter zu Dachbalken verarbeiten konnte

Was dann an Astholz geeignet schien, konnte man zu Löffeln, Holzwalzen u.ä. verarbeiten. Auf dem Weg zum Wohnhaus verriegelte er noch die Scheune mit einem dicken Balken. Beim Durchschreiten der Diele sah er, daß sein Sohn Jelis die 8 Rindtiere versorgt hatte.

In der Küche wartete man schon auf ihn. Über dem Herd hing der Kessel mit der üblichen Buttermilchsuppe, in die bald alle etwas Roggenbrot einbröseln " würden.

Am langen Familien tisch saßen Dryes' Brüder Henryk und Fredryck, seine Frau Tryncken, dann Sohn Jelis und die Mädchen Lencken und Anneken und seine betagte Mutter Drücke. In der Ecke am Gesindetisch warteten 2 Mägde und der Knecht Michel. So wie sich Dryes hingesetzt hatte, begann er den "Engel des Herrn " zu beten.

Dann griffen alle zu. Auf den Tischen standen außer den Suppentellern noch Körbe mit Roggenbrot und wenigen Weißbrotschnitten, die vor allem für die Großmutter waren, da sie kaum noch Zähne im Mund hatte und das so harte Brot nicht kauen konnte. Dann konnte jeder gute Butter, Speck und Apfelkraut nehmen.

Beim Essen ging es munter zu. Es wurde fleißig erzählt.

Nach einem "Vater unser", einem Gebet für die verstorbenen und einem kurzen Nachtgebet verließen zuerst die beiden Mädchen mit ihrer Mutter die Küche, während die Mägde den Tisch abräumten.

Schauen wir uns, bis die Mutter zurückkehrt, einmal in dem zweigeteilten, von einem Strohdach gedeckten Hallenhaus um:

Durch Viehtrakt und Wohnbereich ergibt sich eine Längs- und Querteilung. Im Viehbereich bilden 2 senkrecht aufragende Balkenreihen die Längshalle (Dielenständer). So entsteht ein hohes Mitteischiff, an dessen Seite je ein niedrigeres Schiff (Afdak) Raum für das Vieh hergibt. Eine Mauer aus Backstein trennt die Längs- von der Querhalle (Zweiständerhaus)- Mitten in der Trennwand zwischen den beiden Hallen ist die offene Herdstelle mit Kamin und gemauertem Schornstein darüber. (Schormongtel = Schomsteinmantel) Hinter der Herdstelle erkennt man eine biblische Darstellung auf einer grußeisernen Platte. An einer im Kamin querliegenden Stange hängt die sogenannte Haal (Hol und Hiel) mit Schwert und Kette zum Hochwinden der Kessel, daneben ein hölzernes Hängeschränkchen für Teller, Tassen, Löffel und Schüsseln. Von der großen Küche kommt man rechts in eine höhergelegene Kammer, die Opkamer". Dahinter sind inzwischen die beiden Mädchen in ihren Holzbetten eingeschlafen. Auf der anderen Seite zur ebenen Erde sehen wir die "gute Stube ", die man nuran Festtagen betritt und davor eine Spül- und Futterküche. Übrigens schlafen die Eltern in der Opkamer, während die Mägde über eine Leiter aus der Küche auf den Boden gelangen, wo sie vor dem Kamin eine Kammer haben. Der Knecht hat in einer Ecke unter dem "Afdak" beim Pferd seine Schlafstelle.
Daß es im ganzen Haus nach Stall riecht, versteht sich von selbst. Die Fenster im Längs- und Querhaus sind für unser Empfinden klein. Man war mehr darauf bedacht, Wärme im Haus zu halten als gesunde Luft hereinzulassen.

Inzwischen war die Bäuerin zurückgekehrt und nahm neben Bauer Dryes am Kopfende Platz. "Ich müßte bald nach Venlo", begann der Bauer das Gespräch, "Zint Dryes (St.. Andreas) es schneller doe als wor denke" (30. November). 2 Gulden und 3 Hähne bekommt Ritter Eduart von Bocholtz. Je 8 Malter Roggen und Hafer gehen an die Mönche von Knechtsteden (Kirchenzehnter, der vom Kirchspiel eingetrieben wurde). Die übrigen Abgaben an den Landesherren und das Kirchspiel machen 24 Gulden. Soviel Geld haben wir nicht im Haus. Wir sind gezwungen, Flachs zu verkaufen. Die Ernte war gut. Wir könnten 100 Stein an den Leinenweber in Venlo liefern. Dann habt ihr für den Winter noch viel zum Spinnen. Unsere Röstkuhlen im Bruch sind voll und die Ware für Venlo ist durch die letzten Sonnentage gut getrocknet. Wenn ihr wollt, könnten wir noch ein Spinnrad kaufen. Es bleibt dann immer noch genug für die Abgaben. "

  • 11) 1 Gulden = 20 Stüber = etwa 7,50 Mark 1 Malter: etwa 120 1 (Hohlmaß)
    1 Stein Flachs = 5 Pfd. wobei 1 Pfd. etwa 470 Gramm hatte

  • zur Flachsverarbeitung: nach der Ernte im September wurde zunächst in Wassergruben geröstet, dann wurden die morschen Stengel getrocknet, gebrochen und nach weiteren Arbeitsgängen gesponnen.

Dryes hatte nämlich im stillen noch errechnet, daß er auch von der Wolle, die seine 25 Schafe hergaben, noch einiges bald an den Mann bringen könnte, und die Menge an Hafer überstieg ebenfalls seinen Bedarf für2 Pferde. So wollte er sich gerade selbstzufrieden erheben, als Mutter Tryncken sich meldete:" Vielleicht wäre es gut, wenn ich mitführe, um den Mädchen einige Kleinigkeiten zu kaufen und das Spinnrad auszusuchen. Außerdem dauert es nicht mehr lang bis Nikolaus." Natürlich dachte sie insgeheim daran, eine feine weiße Decke zu kaufen, wie sie ihre Mutter bei ihrer Hochzeit auf den Tisch gelegt hatte. Die wollte sie dann so fein sticken, daß des Jelis' Braut sie für's Jahr 1522 in die Schatztruhe legen konnte. Dryes wollte seiner Frau die Bitte, nach Venlo zu fahren, nicht abschlagen. So legten sie den kommenden Samstag dafür fest.

Was man über die Landwirtschaft und das Handwerk in Lobberich um 1520 noch wissen sollte:

Die meisten bäuerlichen Betriebe waren klein. Da der Hof von to Broeck zu den größeren zu rechnen ist, darf man von etwa 30 - 40 Morgen bestellter Bodenfläche ausgehen. Zu diesem Hof gehörte noch Bruchland und Wald (Sassenfelder Peschen). Für den to Broeck-Hof galt eine Form der Abhängigkeit, die man Kurmut nannte Wenn der Bauer starb, durfte sich der Herr das beste Pferd (oder die beste Kuh) aus dem Stall holen, beim Tod der Frau durfte eine Kuh verlangt werden. Man mußte dann termingerecht bitten, den Hof weiterführen zu dürfen. Geschah dies nicht, zog der Herr den Hof ein.

Um die Erträge der Äcker zu steigern, arbeitete man nach der Dreifelder-Wirtschaft, d.h. alle 3 Jahre blieb ein Acker unbebaut liegen (Brache). Man kannte die Herbst- und Frühjahrsbestellung: Roggen und Buchweizen wurden im Herbst ausgesät, dagegen Hafer und Flachs im Frühjahr. Rüben, Weizen und Kartoffeln waren noch unbekannt. Unter den Getreidekrankheiten fürchtete man besonders das "heilige Feuer", das durch einen Pilz tödlich wirkte. Bei Tieren kannte man Beulen- und Lungenpest.

Zum Bauernhof gehörten Bongert (Obstgarten) mit Garten. Bohnen, Erbsen und Linsen kamen immer wieder auf den Tisch. Auch die Kötter, die man auch Nichtbeerbte nannte, hatten meist einen Garten, nicht selten ein paar Schafe, Gänse oder eine Kuh.

Die Kleidung der Menschen war einfach:
Männer trugen ein Leinenhemd, weite Leinwandhosen, darüber einen Rock bis zu den Knien. Um die Beine wickelte man Lappen. Frauen kleideten sich mit leinenem, langem Unterkleid. Ihr langes Obergewand war an den Ärmeln weit geöffnet. Die Kleidung wurde möglichst auf den Höfen winterlags angefertigt. Dazu gehörten auch die Holzschuhe aus dem Holz der Pappeln.
Da man Handwerker kaum bezahlen konnte, fertigten die Bauern, so weit es ging, ihre Arbeitsgeräte selber an.
Zum Schlachten kam ein Hausschlächter.
Das Backen besorgten weitgehend die Bäuerin oder die Mägde.

Bei Krankheiten wurde auf Hausmittel zurückgegriffen. Es gab weder ein Hospiz noch ein Krankenhaus am Ort. Erst um 1800 hat Lobberich einen amtlich bestellten Arzt. Noch um 1790 holte man Arzneien in Venlo. In der Not der Krankheiten rief man die Hilfe der Heiligen an.

In jedem Haus standen "neben der Wiege auch Särge". Vor allem die Kindersterblichkeit war groß.

Man darf für 1520 auf etwa 1000 Einwohner schätzen, davon etwa 200 im Sassenfeld.

Was man 1520 in Lobberich sicher nicht wußte: daß Wissenschaft und Technik die Tore zur Neuzeit weit aufgestoßen hatten und das Mittelalter Schritt für Schritt seinem Ende entgegenging.

Hier einige wichtige Merkmale für den Beginn der Neuzeit:
Martin Behaim schuf 1492 den ersten Globus. Im selben Jahr fuhr Christoph Columbus mit seiner Flotte los, um Indien auf der Westroute zu erreichen. Er landete auf einer Antilleninsel und entdeckte damit Amerika. Kopernikus arbeitete an dem Nachweis, daß sich die Erde mit anderen Planeten um die Sonne dreht. Die Erde hatte bis dahin als Mittelpunkt des Weltalls gegolten. 1517 stellte Martin Luther Fragen an die Katholische Kirche, die eine Kirchenspaltung auslösten .

Das hatte Dryes to Broeck nicht ahnen kön nen, daß sein Jelis und einige Generationen nach ihm unter diesem Kirchenkampf und der Trennung der Christenheit zu leiden haben würden: 1579 sagte sich der nördliche Teil des Herzogtums Geldern von der spanischen Krone los, um sich den niederländischen Generalstaaten anzuschließen, die protestantisch geworden waren. Lobberich und der Rest des Herzogtums, das sogenannte Oberquartier mit der Verwaltungszentrale Roermond, blieben katholisch. Seit 1561 gehörte die Kirche von Lobberich zum Bistum Roermond. Der Karfreitag 1581 wurde dann nicht nur für die Familie des Ritters Jelis und dessen Frau Margaretha von Bocholtz zum Schreckenstag, sondern für die Lobbericher insgesamt. Truppen der Generalstaaten standen an jenem Tag vor lngenhoven und verlangten die Übergabe. Jelis ließ die Tore sperren. Da befahl der angreifende Oberst, lngenhoven anzuzünden. Jelis, wohl auch mit Rücksicht auf seine Frau, die wenige Tage zuvor ein Kind zur Welt gebracht hatte, ergab sich, ehe es zum Schlimmsten gekommen war. Der Sieger ließ den Jelis ins Nikolauskloster nach Venlo in einen Kerker bringen, wo man ihm Fußketten anlegte. Der Abt Reinhard von Bocholtz, der dem Kloster Corvey vorstand, erreichte 2 Monate später seine Freilassung, doch fand Jelis lngenhoven vollständig ausgeplündert vor. Die Würde eines Amtmannes von Krickenbeck und Erkelenz, die König Philipp noch im Mai 1581 verlieh, dürfte den Getreuen des Königs in etwa entschädigt haben. Es war in dieser Zeit, als Schöffen und Geschworene für die Bevölkerung der Kirchspiele Grefrath, Lobberich, Leuth und Hinsbeck Klage führten: die Menschen würden durch „Fangen, Spannen und Plündern" gequält.


Weiter: Großes Unglück kommt über Lobberich (1635-1648)

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Geschichte(n) - auch aus anderen Quellen.